Der Wiener Eislauf-Verein blickt auf mehr als 150 Jahre Geschichte zurück. In dieser Zeit hat der Verein viele schwierige Phasen bewältigen müssen. Die Eislaufsaison 2020/21 ist jedoch eine besondere Herausforderung, wie ein Blick in die Geschichte zeigt.
Kriegszeiten
Die Schließung des Eislaufplatzes für mehrere Wochen im Herbst 2020 war eine Maßnahme, die selbst in Kriegszeiten nicht vorgekommen ist. Die Zeit der beiden Weltkriege 1914 bis 1918 und 1938 bis 1945 brachte große Versorgungsschwierigkeiten und Not. Eine künstliche Eiserzeugung war meist nicht möglich. Trotzdem konnte der Wiener Eislauf-Verein während beider Weltkriege seinen Betrieb aufrechterhalten, sofern es Natureis zuließ. Im Zweiten Weltkriegwar ein möglichst normales Leben abseits der Kriegsschauplätze politisch gewünscht. Die Moral der Bevölkerung sollte aufrechterhalten werden. Selbst in der Saison 1944/45 fanden Wettbewerbe und Eisrevuen statt. Filmaufnahmen zeigen einen gut besuchten Tanzkreis im Winter 1944. So müssen wir mehr als 100 Jahre zurückblicken, in die Zeit des Ersten Weltkriegs, um einen Zeitraum zu finden, in dem es kein traditionelles Rundtanzen gab. Während an der Front Soldaten starben, galt es als unangebracht, sich zu vergnügen und zu tanzen. Der normale Eisbetrieb ging hingegen bis 1917 weiter. In eingeschränkter Form wurden bis dahin sogar Sportveranstaltungen abgehalten. Auf Grund der Versorgungsknappheit musste der Eislaufbetrieb in der Saison 1917/18 schließlich aber zur Gänze eingestellt werden.
Umbau und Umzug
In der Vereinsgeschichte gab es zwei Phasen mit großen baulichen Veränderungen. Auf Wunsch der Politik sollte Ende der 1950er Jahre am Platz auf dem Heumarkt ein großes Hotelprojekt entstehen. Von 1960 bis 1964 wurden die Jugendstilgebäude des Architekten Ludwig Baumann abgerissen und die Eisfläche von 10.000 auf 6.000 Quadratmeter reduziert. Das alles geschah während des laufenden Betriebes. 60 Jahre zuvor war der Wiener Eislauf-Verein auf den Platz am Heumarkt übersiedelt. Ursprünglich befand sich der Eislaufplatz in der Gegend des Bahnhofs Wien-Mitte. Dieser Platz war von der Gemeinde Wien gepachtet. Die Pläne der Stadt sahen die Errichtung der Stadtbahn und die Verbauung des Geländes vor. Ab 1894/95 wurden diese Pläne konkreter. Saison um Saison musste deswegen der Wiener Eislauf-Verein seine Eisfläche reduzieren. Inzwischen gestaltete sich die Errichtung des neuen Platzes extrem schwierig. Dreimal musste der Verein seine Baupläne überarbeiten. Die vertraglichen Verhandlungen mit der Stadt Wien verliefen äußerst zäh. Erst am 6. 1. 1901 konnte der neue Platz am Heumarkt eröffnet werden. Trotz der schwierigen Umstände gelang es, jede Saison durchzuführen.
Wetterkapriolen
Seit 1912 ist der Platz des Wiener Eislauf-Vereins eine Kunsteisbahn. Davor war man darauf angewiesen, dass die Winter kalt genug für die Eisbildung waren. Das sorgte im Lauf der Jahre für eine sehr unterschiedliche Anzahl an Schleiftagen pro Saison. Von über 100 Tagen Eisbetrieb wie 1906/07 oder 1885/86, bis zu gerade einmal drei Tagen 1872/73. Die Saison 1872/73 ging damit als kürzeste in die Vereinsgeschichte ein. Die Chronik zum 40jährigen Bestehen des Vereins berichtet: „Diese drei Tage sind in unserer Laufstatistik mit einem Fragezeichen versehen. Es wurde nämlich an drei Tagen je 1-2 Stunden von Mitgliedern, denen die Befriedigung der Lauflust höher stand als die Erhaltung ihrer geraden Glieder, gelaufen, respektive zu Laufen versucht. Es war der mildeste Winter, den die vierzigjährige Chronik des Wiener Eislaufvereines zu verzeichnen hatte. Gott schütze uns vor einer Wiederholung!“
Allen diesen Schlägen begegneten der Verein und seine Mitglieder mit beeindruckendem Engagement:
- Technische Neuerungen ermöglichten bereits am Neujahrstag 1874 eine schwimmende Eisfläche, die wesentlich widerstandsfähiger gegen Temperaturschwankungen war.
- Während bzw. nach beiden Phasen der Umgestaltung feierten Sportler des Wiener Eislauf-Vereins herausragende Erfolge. So erkämpften etwa Gustav Hügel in den 1890er Jahren und Emmerich Danzer in den 1960er Jahren beide drei Weltmeistertitel im Eiskunstlauf.
- Trotz der schwierigen Umstände nach dem Ersten Weltkrieg hatte der Verein in den 1920er Jahren fast 10.000 Mitglieder und betrieb die mit 12.000 Quadratmetern größte Freiluft-Kunsteisbahn der Welt. Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte, dank des Einsatzes von Mitgliedern, mit einfachsten Mitteln bereits am 8. Dezember 1945 wieder eine kleine Eislauffläche in Betrieb gehen.
In der Saison 2020/21 hat der Wiener Eislauf-Verein nichts unversucht gelassen, seinen Mitgliedern und Gästen eine sichere Ausübung ihres Sports zu ermöglichen. Dank der Arbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und dem beeindruckenden Mittragen der notwendigen Maßnahmen durch die Besucherinnen und Besucher, ist das bis dato gelungen. Die herausfordernde Saison mit allen ihren Einschränkungen wird jedenfalls einen besonderen Platz in der Geschichte des Wiener Eislauf-Vereines einnehmen.