Von Josef Fellner, Präsident des österreichischen Eislaufverbandes
Der Eislaufsport ist wohl eine der ältesten Leibesübungen, wenn er in seinen Anfangsstadien nur als Fortbewegungsmittel und nicht als Sport betrieben wurde. Aus Knochenfunden in den nordischen Ländern, deren Alter auf 3000 Jahre geschätzt wird, geht hervor, dass Schlittschuhe aus Knochen ungefähr um das Jahr 1000 v. Chr. hergestellt und damals von Eskimos und Pfahlbauern benützt wurden, um über die gefrorenen Gewässer rascher gleiten zu können.
Der Urbewohner irgendeiner nordischen Gegend, der vielleicht zufällig auf einen auf dem Eise liegenden Rentierknochen getreten und ausgeglitten ist, und durch diesen Unfall auf die Idee kam, sich auf zwei Knochen zu stellen, um so schneller über die Eisfläche zu gelangen, war also der Urahne unseres schönen Sports.
Wir finden bereits in nordischen Sagen wie der Friedjof Sage und der Edda Berichte über den Eislauf, wir lesen von Uller, dem Schliffschuhkünstler und von der schönen Ingeborg, die mit Schlittschuhen Runen in das Eis ritzte. (9. und 10. Jahrhundert.)
Bereits um 1200 nach Chr. finden wir in alten Büchern Schilderungen über das Eislaufen und nachgewiesenermaßen wurden bereits vor dem Jahre 1400 Holzschlittschuhe mit Metallschienen verwendet. Um das Jahr 1700 herum scheint nach einem alten Stich zu schließen, ein unserem heutigen Eishockey ähnliches Spiel in Holland betrieben worden zu sein.
Wir können auch bereits auf vielen alten holländischen Bildern, die in unseren Kunstgalerien zu sehen sind, die Verwendung des Schlittschuhs erkennen. Überhaupt dürfte Holland wohl als das Mutterland des Eislaufes angesehen werden. Die vielen Kanäle zwangen die Bevölkerung dazu, sich im Winter des Schlittschuhs als Verkehrs- und Volksbelustigungsmittels zu bedienen. Auch in Deutschland blieb das Eislaufen nicht zurück. Das große lnteresse, welches unsere großen Dichter, wie Goethe, Klopstock und Lessing, dem Eislauf widmeten, ist wohl allgemein bekannt. Durch holländische Emigranten kam das Eislaufen auch nach England und dort wurde bereits im Jahre 1742, also vor 190 Jahren, der erste Eislaufverein gegründet. Es war dies der Edinburg Skating Club in Edinburg. Der Kuriosität halber will ich noch die Aufnahmebedingungen in diesen Klub mitteilen. Jeder Angemeldete musste einen Bogen auf jedem Fuße schließen und über drei aufeinandergestellte Hüte springen können. Also der erste Ansatz zum Kunstlaufen. Auch der älteste Bericht über ein Schnelllaufen stammt aus England, und zwar aus dem Jahre 1763, wo ein Weltkampf über 15 englische Meilen (ca. 24 Kilometer) ausgetragen wurde. 1772 erscheint in England auch das erste Buch über Eislaufen.
Auch in Amerika wurde bereits 1849 in Philadelphia ein Eisklubklub gegründet. Die Mitte der Sechzigerjahre bringt den großen Aufschwung des Eislaufsportes in der ganzen Welt. Vereine wurden gegründet: 1861 in Frankfurt a. M., 1864 in Kristiania. 1865 in Amsterdam und Mailand, 1866 in Stockholm, 1867 in Wien, 1868 in Troppau, 1869 in Budapest und Kopenhagen, 1875 in Petersburg und Helsingfors.
Wenn man über die kontinentale Eislaufschule zum Unterschied von der etwas steifen englischen Schule, die übrigens mehr und mehr verschwindet, spricht, so braucht man nur über den Werdegang des Kunstlaufens auf dem Platz des Wiener Eislauf‑Vereines zu berichten, weil die jetzt allgemein gelaufene kontinentale Eislaufschule auf dem Platz des Wiener Eislauf‑Vereines als Wiener Schule das Licht der Welt erblickte.
Noch vor Gründung des Wiener Eislauf-Vereines waren unter den Wiener Eisläufern, die diesem schönen Sport auf dem gestauten Wienfluss bei der Stubentorbrücke und auf den in Wien vorhandenen Teichen, wie im Tiergarten, Stadtpark und Belvedere, huldigen konnten, schon einige sehr gute "Künstler", nur liefen sie alle noch recht wild, ohne jedes System.
Als nun im Jahre 1868 der amerikanische "Eistänzer" Jackson Haines auf dem alten Platz des WEV zu einigen Vorstellungen verpflichtet wurde, gestaltete sich sein Auftreten nicht nur zu einem gesellschaftlichen Ereignis, sondern auch das, was er den Wienern zeigte, versetzte sie in helle Begeisterung. Er führte Marsch‑, Walzer‑, Mazurka‑ und andere Tanzschritte vor, zeigte Sprünge, Rebenfiguren und vor allem die tiefe Pirouette.
Wenn auch Jackson Haines selbst noch ganz wild, ohne Deckung, ohne Achterform, also ganz systemlos lief, so führte er doch alles, was er zeigte, in tadelloser Haltung und mit einem so außerordentlichen Rhythmus vor, wie es die Wiener Eisläufer noch nie gesehen hatten. Man kann sich vorstellen, dass diese noch nie gesehene Kunst auf den Werdegang der Wiener Kunstlaufschule einen mächtigen Impuls ausübte. Der Same, den Jackson Haines auf Wiener Boden pflanzte, trug sehr bald reiche Früchte, so dass er, als er im Jahre 1870 wieder in Wien erschien, nicht genug Worte des Lobes und der Überraschung über die Höhe der erreichten Kunst und über die große Zahl der guten Läufer finden konnte.
Das von Jackson Haines Gezeigte war damals von unseren Mitgliedern Dr. Karl von Korper, Demeter Diamantidi und Max Wirth schon systematisch geordnet und vielfach ausgestaltet worden. Die zielbewusste Arbeit dieser drei Pioniere des Kunstlaufsportes wurde im Jahre 1881 in dem epochalen Buch "Spuren auf dem Eise" der Allgemeinheit zugänglich gemacht: Die Wiener Kunstlaufschule war geboren.
So sehr der Kunstlaufsport auf dem Platze des Wiener Eislauf-Vereines und in Wien überhaupt von jeher gepflegt wurde, so war doch die erste eissportliche Veranstaltung ein Schnelllaufen. Im Jahre 1869 wurde am Platz des WEV das erste "Eisrennen" veranstaltet und da es eigentlich nichts anderes war, als eine Nachahmung des Pferderennens, so darf man sich nicht wundern, dass um Geldpreise gelaufen wurde und im übrigen der Jockey-Club auch die meisten Funktionäre, wie Richter, Starter, Handicapper usw., beistellte.
Das erste Kunstlaufen wurde 1872 ausgetragen, das national ausgeschrieben war und von Dr. Karl von Korper, dem nachmaligen Präsidenten des WEV, vor Franz Belazzi gewonnen wurde. 1875 wurde das erste Damenkunstlaufen abgehalten. 1882 wurde das erste internationale Figurenlaufen auf unserem alten Platz ausgetragen, bei welchem Bewerb unsere besten Eisläufer gegen die Besten der nordischen Länder antraten. Der Kampf endete mit einem überlegenen Sieg der Wiener Schule. Den ersten Preis errang Altmeister Leopold Frey, den zweiten Hofrat Engelmann und erst den dritten Preis konnte ein Ausl?nder, nämlich Axel Paulsen aus Trondhjem, erkämpfen. Dieser große Erfolg der Wiener Schule war natürlich ein gewaltiger Ansporn für unsere Kunstläufer, sich in dieser Kunst noch weiter zu bilden und seit der Zeit finden wir die Farben des Wiener Eissportes immer unter den Besten dieser Zunft. Im Jahre 1892 veranlasste nun Holland die Einberufung einer Zusammenkunft der Vertreter der eissporttreibenden Länder zu Scheveningen, um ein allgemeines Übereinkommen über die verschiedenen Bestimmungen in den einzelnen Staaten zu erreichen. An diesem Kongress, an dem die Vertreter Deutschlands, Österreichs, Hollands, Schwedens und Ungarns teilnahmen, wurde die Internationale Eislaufvereinigung gegründet und seit dieser Zeit werden alle internationalen Eislaufwettbewerbe nach einheitlichen Regeln ausgetragen, so dass man mit Fug und Recht behaupten kann, dass der Eissport der bestorganisierte aller Sportzweige ist.